7. Das „Kalima“ (das Tat-Wort)

Die Geschichte wäre nichts als eine Wiederholung des Bestehenden, wenn es nicht zu unserem Wesen gehören würde, offen dafür zu sein, dass uns eine Offenbarung zuteil werden kann. Aber woher weiss man, ob man vom Schöpfer inspiriert wird oder von einem gefallenen Engel, von Shaytan? Woher weiss man, ob man mit einer Gottheit oder mit einer Schimäre spricht?

Die Sure Die Sippe Imrans sagt uns, dass ‘Issa ein „Tat-Wort [Kalima]“ ist, das „von Gott ausgeht“ (S. 3:45). Durch dieses „Wort“ ist es so, dass sich die Geschichte nicht einfach wiederholt, sondern dass sie offen für die Erfüllung ist, die der Schöpfer ihr zukommen lassen möchte.

Im Johannesevangelium heisst es: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Er war am Anfang bei Gott. Durch ihn ist alles geworden, und ohne ihn ist nichts geworden. "Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1:1-3 und 14), d.h. unter uns, die wir ein lebendiger Tempel sind und in uns, in dem Sinne, dass Gott jeden von uns in seinem Innersten besucht.

Das letzte Buch der Bibel berichtet von einer Vision desselben Johannes: „Und ich sah den Himmel offen, und siehe, ein weisses Pferd; und der darauf sass, hiess 'treu' und 'wahrhaftig', und er richtete und führte Krieg mit Gerechtigkeit. Seine Augen? Eine brennende Flamme; auf seinem Kopf viele Diademe; auf ihm ein Name, den nur er kennt; der Mantel, der ihn umhüllt, ist mit Blut getränkt; und sein Name? Das Wort Gottes. Die Heere des Himmels folgten ihm auf weißen Pferden, gekleidet in vollkommen weißes Leinen. Aus seinem Mund kommt ein scharfes Schwert, um die Heiden zu schlagen; er ist derjenige, der sie mit einem eisernen Zepter führen wird; er ist derjenige, der den Wein des grimmigen Zorns Gottes, des Herrn von allem, im Bottich treten wird. Auf seinem Gewand und auf seiner Hüfte steht ein Name geschrieben: König der Könige und Herr der Herren“ (Offenbarung 19:11-16).

Man darf sich nicht vorstellen, dass der Krieg, den das Wort Gottes zu Recht führt, ein Krieg im gewöhnlichen Sinne des Wortes ist: Sein Mantel ist blutgetränkt, weil er gekreuzigt wurde, er tötet nicht, sondern bietet sein Leben als Opfer an; die Heere sind die der Engel und der Heiligen, und das "Schwert" ist nicht in seiner Hand, sondern in seinem Mund. Wer die Bibel liest, weiss, dass dieses Schwert das Wort Gottes selbst ist! Der leidende Gottesknecht sagt zum Beispiel, dass der Herr „meinen Mund zu einem scharfen Schwert gemacht hat“ (Jes 49:2).

Vor der Zeit des Koran hatten einige der Juden nicht akzeptiert, dass Jesus (‘Issa) der wahre Gesandte des Vaters war. Sie begannen zu glauben, daß das Böse durch die Vorherrschaft Israels über die Nationen von der Erde verbannt und dass die Bösen besiegt werden würden. Einige dieser „Messianisten“ sahen in Jesus (‘Issa) denjenigen, der dieses Programm zu Lebzeiten hätte verwirklichen sollen. Da er jedoch durch die Verdorbenheit Israels daran gehindert worden war, hätte Gott ihn vor der Kreuzigung in den Himmel geholt; dort würde er auf günstigere Umstände warten, die seine Rückkehr und die Verwirklichung dieser politischen Vision ermöglichen würden. Amir Moezzi hat diesen Aspekt der proto-islamischen Erwartungen, der sich in vielen Hadithen findet, besonders hervorgehoben (1). Es wird deutlich, daß Muḥammad auf die Herabkunft von Al-Massih auf die Erde wartete, daß dieser Messias ‘Issa (Jesus) ist, und daß der Kontext ein kriegerischer ist.

Aber was ist bei all dem aus dem Besuch des Schöpfers durch sein Wort (Kalima, Wort) geworden? Was ist aus der frohen Botschaft eines Wortes geworden, das von Gott kommt und daher in der Lage ist, uns zu beleben und uns eine gute Zukunft zu eröffnen, vorausgesetzt, dass wir an ihn glauben?

 


(1) Guillaume DYE und Mohammad Ali AMIR-MOEZZI (Hrsg.), Le Coran des historiens, Cerf, 2019.