17. Niemand ist in den Himmel hinaufgestiegen als der, der vom Himmel herabgestiegen ist

Die Sura Die Nachtreise (oder Die Kinder Isrāʾīls) beginnt wie folgt: „Gepriesen sei Er, der Seinen Diener bei Nacht von der Heiligen Moschee zu der weit entfernten Moschee geführt hat, um die Wir Unseren Segen gelegt haben, um ihm einige Unserer Zeichen zu zeigen. Er ist der Hörende, der Hellsichtige“ (S 17:1). Der Diener soll hier Muḥammad (~) sein, und die erwähnte nächtliche Reise (isrâ') wäre eine Reise von Mekka nach Jerusalem. Diese Reise soll auf einem übernatürlichen Reittier, einer geflügelten Stute namens Bouraq, stattgefunden haben. Man hat diese ultraschnelle Reise auch auf ein Jahr datiert: das Jahr 620 der christlichen Zeitrechnung.

Damit gibt es mehrere Probleme. Wenn sich die ferne Moschee oder ‚Al-Aqsa‘ auf das Bauwerk beziehen soll, das am anderen Ende der Esplanade (hinter dem Felsendom) gebaut wurde, dann erwähnt der Koran etwas, das laut Korantext erst ein Jahrhundert später gebaut wurde (ein Teufelskreis!). Die Identifizierung des Felsens, um den die Kuppel gebaut ist, als Ausgangspunkt der Aufstiegs-Miraj zum Himmel, erscheint in den Quellen nicht vor dem 10. Jahrhundert [1]. Und dieser Vers 17:1 fehlt in den Inschriften des Felsendoms [2].

Könnte man nicht einfach sagen, dass sich die Isrâ' und der darauf folgende Miraj (der Muḥammad (~) vom Felsen der Esplanade in den Himmel trägt) auf eine Überlieferung beziehen, auf die der Koran selbst eine Anspielung macht, indem er sagt: „du kannst eine Leiter in den Himmel ausfindig machen, und ihnen dann ein Zeichen bringen“ (Sure Das Vieh 6:35)? Die Menschheit kann nicht ohne eine gewisse Kommunikation mit ‚dem Himmel‘, dem Schöpfer, leben.

Diese Vorstellung von einer Leiter oder von einer Kommunikation mit dem Himmel ist bereits vorhanden, wenn es heisst: „Und gedenke im Buch Mūsās. Gewiss, er war auserlesen, und er war ein Gesandter und Prophet. Wir riefen ihn von der rechten Seite des Berges und liessen ihn zu vertraulichem Gespräch näherkommen“ (Sura Maryam 19:51-52). Das Alte Testament erzählt uns, dass Gott Moses (Musa) das himmlische Modell der Wohnung, den Tempel, zeigt (Exodus 25). In ähnlicher Weise wurde das hebräische Gesetz durch das Wirken von Engeln empfangen (Galater 3:19). Jesus (‘Issa) bezieht sich auf das von Mose (Musa) gegebene Gesetz: Es geht nicht darum, das von Gott stammende Gesetz zu ändern. Auch Jesus verweist auf das Gesetz: „Du kennst die Gebote: Du sollst nicht töten, du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsches Zeugnis ablegen, du sollst nicht Unrecht tun, du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren“ (Markus 10:19).

Jesus ist wie eine lebendige Leiter: Über ihm steigen die Engel Gottes auf und ab (Joh 1:51). Er gibt den Menschen ihre Beziehung zu Gott zurück, eine Beziehung, die es wieder möglich macht, aus Gott zu leben und aus ihm kreativ zu sein. Noch deutlicher wird dies in dem, was Jesus (‘Issa) Nikodemus lehrt:

„Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Geräusch, aber du weisst nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist“ (Johannes 3:8).

Der Hauch des Geistes (Johannes 3:8) bewirkt nicht nur eine Verinnerlichung des mosaischen Gesetzes, er ist vielmehr ein Hauch, der vom Himmel, d.h. von Gott kommt. Jesus (‘Issa) sagte auch zu Nikodemus: „Niemand ist in den Himmel hinaufgesteigen ausser dem, der vom Himmel herabgestiegen ist“ (Johannes 3:13).

Niemand ist in den Himmel aufgestiegen, aber Jesus (‘Issa) ist von dort herabgestiegen!

 

[1] Die Identifizierung des Felsens, um den die Kuppel gebaut ist, als Ausgangspunkt der Aufstiegs-Miraj zum Himmel erscheint in den Quellen nicht vor dem 10. Jahrhundert, vgl. J. und D. SOURDEL, "Coupole du Rocher", Dictionnaire historique de l'islam, Paris, PUF, 2004, S. 224.

[2] Oleg GRABAR, Die Entstehung der islamischen Kunst, Paris: Flammarion, 2000, S. 73-74