19. Kann man durch Mel Gibsons Film den Tod Jesu verstehen?

Im Koran heisst es: „Aber sie haben ihn weder getötet noch gekreuzigt, sondern es erschien ihnen so /.../ Vielmehr hat Allah ihn zu Sich erhoben“(Sure Die Frauen 4:157-158). Man kann sich jedoch fragen: Was steckt hinter dem grossen Interesse an Mel Gibsons Film über die Passion Christi (2004) in den arabischen Ländern?

Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Jassir Arafat, bezeichnete den Film als „bewegend und historisch“[1], und Arafats Medienberater Nabil Abu Rudeina, der den Film zur gleichen Zeit wie Arafat sah, sagte: „Die Palästinenser sind immer noch den gleichen Leiden ausgesetzt, die ‘Issa (Jesus) bei seiner Kreuzigung erleiden musste“[2]. Der Herausgeber der katarischen Tageszeitung Al-Watan, Ahmad Ali, lobte die „Politik der Offenheit“ des katarischen Prinzen Scheich Hamad Bin Khalifa: „Die Aufführung des Films [von Mel Gibson] in Katar ist ein Schritt in Richtung einer Politik der kulturellen Offenheit und religiösen Toleranz in unserem Land. Wir möchten jedoch den anderen Standpunkt hören, den des Ministeriums für islamische Angelegenheiten... denn das Schweigen dieses Ministeriums zur Vorführung des Films in Katar könnte als Akzeptanz der falschen [christlichen] Version der Kreuzigung von ‘Issa (Jesus) interpretiert werden“[3].

Das Interesse an Mel Gibsons Film rührt daher, dass wir sehen, wie der Teufel-Iblis, der in dem Film sehr stark personifiziert wird, durch das Blutvergiessen von Al Massih seine Macht verliert. Der Teufel-Iblis, "Fürst dieser Welt", hält die Menschen in den Kette des Bösen gefangen: Er greift sie sowohl von außen an: (Ungerechtigkeiten, Krankheiten, Unglück), als auch von innen. Er stiftet die Menschen dazu an, andere oder sich selbst zu zerstören. Der Teufel-Iblis ist nicht in der Lage, Jesus (‘Issa), zu verführen, Jesus bleibt unschuldig; deshalb konzentriert der Teufel-Iblis alles Böse der Welt gegen ihn. Jesus (‘Issa) verwandelt dieses Böse in ein Leiden, das er für andere aufopfert: Er gibt sein Leben hin bis zum letzten Tropfen seines Blutes! Und so macht er dem Teufel-Iblis einen Strich durch die Rechnung und zerbricht die Kette des Bösen.

Angesichts der Unschuld Jesu (und seiner Mutter) kann jeder erkennen, dass er sebst nicht so unschuldig ist, wie er behauptet. „Es gibt keinen Gerechten auf Erden, der Gutes tut und nicht sündigt“ (Kohelet 7:20). Maryam zeigt uns den Ausweg: Sie bleibt bei der Opferung ihres Sohnes aufrecht stehen, und in ihrem unbefleckten Glanz kann ein jeder an diesem Werk der Befreiung vom Bösen teilhaben, in sich selbst und in der Gesellschaft.

Das Vergiessen von Jesu Blut steht in Beziehung zur Opferung von Abrahams Sohn (welcher Sohn auch immer), die nicht stattgefunden hat, und derer am Eid al-Kebir gedacht wird. Jesus hat sein Blut vergossen, damit kein menschliches Blut mehr vergossen wird. Das wird in krankhafter Weise verkehrt, wenn manche Menschen das Blut der "Unerlösten" vergiessen und das als einen Akt der Anbetung Gottes verstehen. Jesu Blut reinigt die Welt. Diejenigen, die Gewalt und Tod verherrlichen, setzen das Werk von Shaytan fort, während sie behaupten, sie würden die Welt reinigen! Der wahre "Märtyrer" (shayd) ist derjenige, der sein Leben für andere gibt, nicht derjenige, der sein Leben verliert, nachdem er versucht hat, so viele Feinde Gottes wie möglich zu töten.

Im Film sehen wir auch, wie einer der Verurteilten den Weg zur Vergebung findet, indem er auf die Mutter schaut, die am Kreuz steht. Es gibt kein Übel, das so gross ist, dass man nicht durch die Hinwendung zu ihr, Maryam, der Reinsten, davon loskommen könnte.

 

Passion


[1] Al-Sharq Al-Awsat (London), 21. März 2004

[2] Offizieller Informationsdienst der Palästinensischen Autonomiebehörde, 21. März 2004

[3] Al-Watan (Katar) 22. März 2004