23. Jibril, der Heilige Geist und der Qur'an

Der Geist Gottes ist Gott. Man könnte sagen, dass es Gott ist, der handelt, manchmal, aber nicht unbedingt, durch die Vermittlung von Engeln.

Die Sure Der Tisch erhebt den Vorwurf, den Geist (der „Mutter von ‘Issa (Jesus)“ genannt wird [1] „neben Gott“ zu stellen: „‘Issa, Sohn von Maryam, hast du zu den Menschen gesagt: Haltet mich und meine Mutter für zwei Götter, neben Gott?“ (S. 5:116). Genau darum geht es, die Christen haben nie die Vorstellungen von einem zweiten oder dritten ‚Gott‘ entwickelt. Wenn es aber das Leben ist, das in Gott ist und das sich weitergeben will, dann muss man nach einer ganz anderen Bedeutung suchen.

Wir haben auch gesehen, dass der Engel Gabriel (Jibril) bei der Verkündigung an die Jungfrau Maria, Maria die Reinste, zu ihr sagte: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten“ (Lukas 1:35). Das hat Gott noch nie zu einem anderen Menschen gesagt und wird es auch nie wieder tun. Und sie verstand genau, dass sich die Verheissung der Heiligen Schrift an ihr erfüllen würde, wenn sie zustimmte, und daß Gott auf diese Weise kommen würde, um „sein Volk zu besuchen“ (Lukas 1:68 und 7:16).

Auch wenn wir den Heiligen Geist nicht sehen können, können wir ihn benennen. Dies scheint jedoch ein Problem zu sein, seit die iranischen Grammatiker des Korans eingegriffen haben. Auf Arabisch heisst es: ar-rūḥ al-qudus, mit dem Artikel al- vor rūḥ, und das bedeutet „der Heilige Geist“. Der Artikel al- vor rūḥ findet sich zum Beispiel in der Sure Die Dichter: „Der treue Geist (ar-rūḥ al-amīn) stieg damit herab“ (26:193). Ähnlich heisst es in der Hinzufügung am unteren Rand der Handschrift (was man Palimpsest nennt) von Șan'â' DAM 01-27.1 aus dem siebten Jahrhundert: „Wir haben ihm [‘Issa (Jesus), Sohn von Maryam] geholfen (oder ihn handeln lassen, Verb ayyada) durch den Heiligen Geist (ar-rūḥ al-qudus)“ (Sure Die Kuh 2:87).

In späteren Koranfassungen dagegen ist der Artikel al- jedoch verschwunden, so dass man nur lesen kann: rūḥ al-qudus, „der Geist des Heiligen“. Welcher „Geist des Heiligen“? Den Auslegern zufolge ist es... der Engel Gabriel-Jibril! Aber es gibt dabei ein Problem: zu der Sure Die Kuh 2:87 und zu den Parallelstellen [2] passt das nicht, denn man kann nirgendwo ‚lesen‘, dass der Engel Gabriel-Jibril ‘Issa (Jesus) geholfen hätte (oder ihn handeln liess)! Die Übersetzer übersetzen daher mit „der Geist der Heiligkeit“ (oder der Heilige Geist). Aber da überall sonst der Artikel al- entfernt wurde [3], heisst es, dass rūḥ al-qudus Gabriel-Jibril ist. Diese Ungereimtheiten zeigen vor allem, dass die iranischen Ausleger ein Problem mit dem Heiligen Geist hatten.

Gott ist nicht einer, der von Zeit zu Zeit Botschaften schickt und aus der Ferne nach unabänderlichen Beschlüsse handelt; er ist voll und ganz lebendig, und das Leben ist dazu da, geteilt zu werden und zu wachsen - sonst wäre es, im Gegenteil, der Tod. Wenn Gott lebendig ist und sich mitteilen will, dann ist also Leben in ihm, und dieses Leben zirkuliert in ihm um drei Pole, was in der Bibel (Altes und Neues Testament) zunächst auf eher verschleierte Weise und dann mit größerer Klarheit offenbart wurde. Die Botschaft der Bibel ist Leben, sie ist viel mehr als eine Botschaft, und der Geist Gottes ist an dieser innergöttlichen Kommunikation vollständig beteiligt.

Die Jungfrau Maria, Maryam, die Reinste, erlebte diese Kommunikation besonders stark. Wir sind dazu eingeladen, Maria „in uns aufzunehmen“, damit wir dieses Geheimnis des Lebens und der Liebe verstehen lernen.

 

[1] Die alten muslimischen Kommentatoren waren mit solchen syrisch-aramäischen Traditionen noch sehr vertraut.

[2] Wurzel yad, Hand. Derselbe in 2, 253 und 5, 110.

[3] Kodikologische Studien unterstreichen dies.