20. Aus der Spirale des Bösen ausbrechen: Vergebung

Wir haben gesehen, dass es dem Teufel-Iblis nicht gelang, ‘Issa (Jesus) in die zerstörerische Spirale des Bösen zu ziehen, deshalb hat er alles Böse der Welt gegen Jesus konzentriert. Mel Gibsons Film zeigt und deutet darauf hin, dass Jesus in seinem Fleisch und in seinem Geist mehr gelitten hat als jeder andere Mensch auf der Welt, Er, der sich als einziger nicht des Bösen schuldig gemacht hat. Das Lukasevangelium berichtet uns auch seine letzten Worte, die sogar lauten: „Vater, vergib ihnen; sie wissen nicht, was sie tun“ (Lukas 23:33).

Vergebung? In der Antike vor Christus war das einzige Beispiel für Vergebung, das der grosse Philosoph Aristoteles anführte, das einer Mutter, die ihrem kleinen Kind verzeiht: Sie tut dies im Hinblick auf die Zukunft, weil sie glaubt, daß ihr Kind sich bessern wird (und sie wird es in diesem Sinne erziehen). Aristoteles findet kein anderes Beispiel. Nur das Opfer kann verzeihen; aber warum sollte es das tun? Vergibt Gott selbst? Im Koran, schon in der Fatiḥa, lesen wir, daß Gott raḥmān / raḥīm ist, zwei sehr nahe liegende Formen, die in etwa dem Wort Barmherzigkeit gebend / barmherzig entsprechen [1]. Der Gott, der Barmherzigkeit zeigt (raḥmān) - das heißt, er ist angeführt und will das Wohl der Menschen - ist in sich selbst barmherzig (raḥīm). Ist er bereit, zu vergeben, oder führt er ein geheimes Buch über gute und böse Taten und das sogar, obwohl er selbst zu den einen wie den anderen anstiftet?

Die Zehn Gebote, die Moses (Musa) diktiert wurden, lehrten die Menschen, sich nicht gegen ihren Schöpfer zu versündigen, und die gesamte Geschichte der Hebräer war ein langer Erziehungsweg, durch den sie lernen sollten, Gottes Gesetze zu achten. Sie entdeckten auch, dass Gott aus dem Griff des Bösen retten will, denn Gott sieht, wie eine Mutter, vor allem das Leben seiner Geschöpfe, und deshalb bietet er denen, die reuig sind, Vergebung an, bevor seine Gerechtigkeit eingreift: „Du schliesst deine Augen vor den Sünden der Menschen, damit sie bereuen [...] Du verschonst alles, denn alles gehört dir, Herr, Freund des Lebens!“ (Weisheit 10:23-26). Wenn Gott die Möglichkeit der Reue (und der Wiedergutmachung) anbietet, warum sollte dann der Mensch dies nicht auch gegenüber anderen tun, die ihm Schaden zugefügt haben? Sollte die Möglichkeit der Vergebung nicht Vorrang haben vor der Rache und vor dem Gesetz "Auge um Auge, Zahn um Zahn"?

Der Mensch kann aus eigener Kraft keine Vergebung anbieten. Nur einer hat diesen Weg geöffnet, und das ist ‘Issa (Jesus). Denn dieser Weg führt über Gott. Das ist das Geheimnis der Vergebung. Vergeben heisst zunächst, Gott das erlittene Übel und die zu verteidigende Sache anzuvertrauen und eine Tür für eine Zukunft zu öffnen, in der er eingreifen wird. Es bedeutet, aus der Spirale des Bösen durch einen Akt des Glaubens auszubrechen. Gott ist allmächtig, aber er erwartet, dass wir ihm die Situationen überlassen. Jesus hätte Feuer vom Himmel auf Judas oder den Sanhedrin herabregnen lassen können, schon lange bevor er ausgeliefert wurde zu seiner Kreuzigung. Er hat seinem Vater alles übergeben, er hat sich selbst ganz hingegeben (Mt 27:46). Und das Böse verlor seine Macht. So wurde Jesus derjenige, durch den wir aus der Spirale des Bösen und dem Griff der Sünde aussteigen können: Durch ihn "vergibt" Gott denen ihre Sünden, die bereuen. Jesus kann selbst den schlimmsten Verbrechern die Vergebung Gottes anbieten - so wie es bei dem Gekreuzigten zu seiner Rechten der Fall war, der um Vergebung bat. Mitten im Tod schenkt er Leben. Es handelt sich um eine einzigartige Macht, die Jesus besitzt und die er an seine Apostel weitergegeben hat, sonst müssten wir nur in der Vergangenheitsform davon sprechen. Heute wie gestern wird uns diese Macht Jesu gezeigt durch Zeichen, die dem Leben dienen: „Damit ihr wisst, dass der Menschensohn auf Erden Macht hat, Sünden zu vergeben, sagte er zu dem Gelähmten: Steh auf, nimm dein Bett und geh heim. Dann stand dieser auf und ging nach Hause“ (Matthäus 9:6-7).

 

[1] Bi-smi Llāhi r-raḥmāni r-raḥīmi.

Christ misericordieux

Choir of the Sretensky Monastery - "Cherubic Hymn" (G. Lvovsky)